Die Möwe

Wir durften Eike Eschholz als Künsterlerin, Visionärin, Forscherin kennenlernen und mit ihr einen gemeinsame Wegstrecke

im Projekt Walfahrt zurücklegen. Das aber, reicht nicht aus, um diese kraftvolle Frau zu beschreiben oder eine Skizze von ihr zu erschaffen.

Sie ist auch eine wunderbare Geschichten-Erzählerin und schreibt viele auch selbst. Wir durften hier und da in ihren unerschöpflichen Fundus von Geschichten mal einen Blick werfen und wollten diese hier mit euch Teilen

 

Es war zu kalt um ins Wasser zu gehen.

So setze ich mich in den Sand und hörte zu, wie das Meer ein- und ausatmete.

Das tat mir gut.

Ich war wie der Fels in der Brandung, kämpfte gegen das Meer durch Stärke, Standfestigkeit und Beharrlichkeit.

Nun gut, es war nur eine Frage der Zeit, bis das Wasser den Fels in kleine Sandkörner

verwandeln würde, wie die auf denen ich saß.

Den Rucksack hatte ich abgelegt. 

Es musste sich eine Möglichkeit finden lassen, aus diesem Zustand zu entkommen. Wollte ich wirklich Jahr und Tag warten bis aus 

mir doch nur ein Sandhaufen übrig geblieben war?

Wie lange wollte ich noch dem Meer trotzen, ohne Aussicht, es je zu besiegen?

Es gibt immer eine Lösung...aber wo..oder wogegen....oder wobei..oder wofür?

Wo verdammt finde ich eine Antwort auf eine Frage, die ich noch nicht mal zu stellen weiß?

Dicht neben mir landete eine Raubmöwe, im Schnabel eine Scholle.

Ein guter Fang.  Er würde sie wohl eine Zeit lang satt machen.

Abwartend beäugte mich das Tier. War ich eine Gefahr?

Nein, ich saß still, denn ich bevorzuge gebratene Scholle auf dem Teller serviert mit zerlassener Butter, Salzkartoffeln und Salatbeilage.

Beruhigt durch meine Reglosigkeit, machte sie sich daran,die Scholle zu verschlingen. 

Der Fisch war flach, groß und glatt. Weit geöffneter Schnabel, gieriger Schlund und hungriger Magen sollten der sperrigen Mahlzeit sicher den Garaus machen können. 

Doch mehrere Versuche blieben erfolglos. Immer wieder platzierte sie den Fisch im Sand oder im flachen Wasser neu. Nicht eine Position fand sich, die ein Verschlucken ermöglichte. 

Das gibt es doch nicht, dachte ich, es muss eine Möglichkeit geben.

„Nur nicht aufgeben“, flüsterte mein Geist dem Jäger zu,“ du hast sie gefangen, sie macht dich satt. Du schaffst das!“

Sie begann auf die Scholle einzuhacken, ich hackte mit. Setzte ihren Schnabel gezielt, ich zielte mit. Hieb um Hieb schlug auf zähe Haut.

Toter Fisch wehrt sich.

„Gib nicht auf, Möwe, kämpfe um das was du dir so schwer erarbeitet hast!“ spornte mein Geist sie an.

Andere Möwen kamen hinzu. Sie gelüstete es nach fetter Beute und sie begannen, ihr 

den Fang streitig zu machen.

Da musste sie von ihren Bemühungen ablassen, um ihre Mahlzeit zu verteidigen. Entschlossen stellte sie sich den Angreifern, flatterte zeternd auf und verscheuchte die, die ihr übel wollten.

 „Gut gemacht!“ lobte ich.

Meine Möwe sollte den Lohn ihrer Mühe verspeisen dürfen. 

Ich hatte Partei ergriffen, war ergriffen von der Dramatik des Geschehens.

Zu meinem Ärger tauchten Spaziergänger auf, die neugierig näher kamen, um zu sehen, was ein Vogel da so eifrig behackte.

Aber meine Möwe ließ nicht locker. Kurzer Hand nahm sie die Scholle wieder in den Schnabel, flatterte ein paar Meter ins Wasser um ihren Fang vor gierigen Menschenhänden und lästigen Blicken zu schützen. 

 Ich war stolz auf meine Möwe. Sie  hackte und warf, warf und hackte, platzierte und versuchte zu verschlingen.

Das Szenario fand seinen Höhepunkt, als der Fisch ihr in den Wellen entglitt.

„Lass nicht los ! Sie gehört dir! Das ist dein Eigentum!“ermutigte ich.

Gott sei Dank! Gezielter Hieb! Wieder in der Gewalt.

Ermattet, vor sich die vermaledeite Scholle liegend, suchte sie nach Möglichkeiten. 

Man gebe mir ein Messer..... „Ich hacke das Viech in Stücke für dich!

Du wirst verhungern, wenn du diesen Fisch nicht frißt.

 Es gibt nur diesen einen, nur diesen! Kämpfe weiter! Kämpfe!“ forderte ich. 

Was machte da meine Möwe?

 Sie ließ ihre Scholle im Sand zurück, erhob sich und flog von dannen. 

Sie flog einfach weg! Sie ließ einfach los! Sie ließ einfach zurück! 

Sie ließ mich in der Fassungslosigkeit zurück! 

„Das kannst du doch nicht tun!“ schrie mein Geist ihr hinterher.

Die Möwe hörte meine Vorwürfe nicht, flog über das Wasser auf der Suche nach neuer Beute und überließ den toten Fisch seinem weiteren Schicksal. 

Tief getroffen, betroffen, selbst ermattet vom Kampf, nahm ich meinen Rucksack. 

Was war mit mir?

Erschüttert verließ ich den Strand.

Den Kampf aufgeben? Alles zurück lassen? Einfach gehen? Von vorne beginnen? 

Aus den Augenwinkeln sah ich noch, wie ein kleiner Junge die angeschwemmte Scholle mit einem Stock zurück ins Meer warf. Das kümmerte die Möwe nicht mehr. 

Hoch oben flog sie und segelte über den Wellen.

 

 

Autorin & Künstlerin

Eike Eschholz

 

30. Juni 2022

 

Mehr über Eike Eschholz und das Walfahrt-Projekt könnt ihr hier erfahren oder über ihre Seite.